Science in Glass. An Historical Ecology of Modern Laboratory Research
Die Rolle von Glasgefäßen in der Geschichte moderner Laborforschung ist ambivalent. Zweifellos sind sie seit der wissenschaftlichen Revolution als Experimentiergefäße unverzichtbar und nicht umsonst in der Ikonografie der Naturforschung seitdem omnipräsent – man denke etwa an das Reagenzglas. Diese wirkmächtige kulturelle Vorstellung vom Glas ist andererseits jedoch der Grund dafür, dass die Historizität und Funktionalität dieser materiellen Grenze im Forschungszusammenhang wissenschaftshistorisch bislang keine Beachtung gefunden hat. Wie Glas im Allgemeinen wird auch Laborglas vornehmlich als ahistorische und quasi-immaterielle Substanz betrachtet, deren Merkmale sich auf Form, Transparenz, Neutralität und zuweilen auch Zerbrechlichkeit beschränken. Die Frage, in welcher Weise das Gefäßmaterial Glas den kausalen Einschluss der räumlich begrenzten Phänomenkomplexe leistet, ohne sich in Forschung einzumischen, wurde daher bislang noch nicht gestellt. Dies soll in der vorliegenden Studie nachgeholt werden. Es gilt, die keineswegs selbstverständliche historische Genese dieser gläsernen Grenze von der wissenschaftlichen Revolution bis ins 20. Jahrhundert nachzuvollziehen – sowohl vor dem Hintergrund der Wissenschaftsgeschichte moderner Laborforschung als auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Konjunkturen des Materials. Die Grenzarbeiten am Laborglas müssen zudem auch vor dem Hintergrund aktueller historisch-epistemologischer Debatten gedeutet werden. Laboratorien sind hier gelegentlich als Umwelten bezeichnet werden, ohne diesen im allgemeinen Sprachgebrauch etablierten Begriff weiter zu spezifizieren. In der vorliegenden Studie wird nun die Umweltlehre Jakob von Uexkülls als möglicher Bezugspunkt für die notwendige theoretische Konkretisierung und methodische Operationalisierung eines historisch-ökologischen Zugriffs auf Laborforschung vorgeschlagen. Uexküll überführte im frühen 20. Jahrhundert die objektivistische Beschreibungssprache der zeitgenössischen Ökologie in eine subjektivistische Bedeutungslehre, die an geisteswissenschaftliche Verstehensmodelle anschlussfähig ist. Der sogenannte Funktionskreis – eine spezifische Kopplung von Merk- und Wirkvorgängen – war für Uexküll nicht nur das theoretische Elementarmodell aller Subjekt-Umwelt-Beziehungen, sondern gleichzeitig auch methodisches Instrument der Umweltanalyse. Die Ansätze Uexkülls, seine zoologische Umweltlehre selbstreflektiv auch auf seine eigene wissenschaftliche Umwelt anzuwenden, sollen weiter fortgeführt und als Anregung verstanden werden, die in der Geschichte experimenteller Naturforschung festzustellende Grenzarbeit am Glas in Hinblick auf die historische Herausbildung von laborökologischen Funktionskreisen zu befragen. Die bislang wenig beachtete und untersuchte Tatsache, dass dieser sich Umwelten anschaulich als Glasgefäße vorstellte, bildet hier zudem eine besondere inhaltliche Klammer zwischen historischer Empirie und dem gewählten konzeptuellen Zugriff. Mit der Historisierung der Uexküllschen Laborglasmetaphorik im Kontext der moderner Glaskultur der 1920er und 1930er Jahre zeigt sich zum Abschluss der Studie, dass die historische Ökologie der Glasgrenzen auch einen originären Beitrag zur Geschichte ökologischen Denkens liefert.